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Dr. Sigrid Graumann-Brunt
Auf ein Wort
Nicht: Je früher desto unwichtiger - Sondern: Je früher desto wichtiger
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Auf ein Wort
Nicht: Je früher desto unwichtiger - Sondern: Je früher desto wichtiger
Die seelische Entwicklung von Kleinstkindern war noch vor 50 Jahren ein unbekanntes und unerforschtes
Land. In Fachbüchern passten die spärlichen Informationen zu der frühen kindlichen
Entwicklung gut auf eine halbe Seite.
Mir wäre als junger Lehrerin nach dem Studium niemals im Leben der Gedanke gekommen, dass
Lern- oder Verhaltensprobleme meiner Schützlinge mit Ereignissen aus deren frühester
Lebenszeit zusammenhängen könnten. Wie alle ging ich davon aus, dass außerhalb der
bewussten (deklarativen) Gedächtnisinhalte nichts von so großer Bedeutung wäre,
als dass man es beachten müsste. Verhielten sich Kinder nicht den Erwartungen gemäß,
sah man eine Normabweichung, die es über eine Einflussnahme auf deren Bewusstsein,
- sprich Erziehung -, zu korrigieren galt.
Damals befand ich mich in einem groben Irrtum, den ich hoffentlich ausgemerzt habe. Die Zeiten haben
sich geändert und es werden auch keine Säuglinge mehr ohne Narkose operiert werden, so wie
es noch um die Mitte des letzten Jahrhunderts angeblich nicht einmal selten war.
Die frühesten Erlebnisse haben natürlicherweise eine große Bedeutung.
Ein Mädchen, das wegen Mutismus in Behandlung ist, gibt niemandem die Hand, warum nur?
Es ist mir unerklärlich; erst als ich die Narben auf dem Handrücken sehe und den
erschreckenden Pulsabfall beobachte, der einer Berührung an diesen Stellen folgt, kommen
wir weiter. Es sind die Narben von Infusionen, die ihr als Frühgeborener verabreicht wurden.
Daran konnten wir arbeiten, auch mit verhaltenstherapeutischen Methoden.
Frau Dr. Zelinsky, die amerikanische Optometristin, gibt einen wertvollen Hinweis, wenn sie sagt,
dass viele Störungen ihren Ursprung eher im subkortikalen Bereich haben. Falls das stimmt
– und davon bin ich überzeugt -, sollten wir unsere Diagnosen einmal mehr auf den Prüfstand
stellen. Störungen aus der frühesten Zeit sind nämlich nicht so leicht zu identifizieren.
Leider ist Ihre Behandlung schwierig, mühsam und aufwändig, aber ich kenne keinen anderen Weg.
Übrigens: Ich kann nicht sagen, wie es diesem Mädchen jetzt geht, denn sie brauchte
nach einiger Zeit keine Therapie mehr. Sie sprach mit jedem außer mir und gab jedem die
Hand, nur mir nicht, aber das war ok.
© Dr. Sigrid Graumann-Brunt 2020
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