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Dr. Sigrid Graumann-Brunt
Die Messung des Herzschlags und des Blutsauerstoffwerts in der therapie- begleitenden therapeutischen Diagnose
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Die Messung des Herzschlags und des Blutsauerstoffwerts in der therapiebegleitenden
therapeutischen Diagnose
Allgemeines zur therapiebegleitenden Verlaufsdiagnose:
Einfache Diagnosen sind in der therapeutischen Praxis nicht so häufig, wie es
wünschenswert wäre und noch seltener sind sie von Dauer. Teumer hat diesem
Sachverhalt in dem Begriff einer die Therapie begleitenden Diagnose Rechnung
getragen und kommt damit der Realität des therapeutischen Alltags näher.
Mit jeder hinzukommenden Information – und notwendigerweise kommen durch therapeutische
Interventionen immer neue Informationen hinzu (bewusst und unterbewusst erfasste Informationen
konvergieren in diesem Prozess, das ist bekannt) - wandelt sich der Blick auf die
Problemkonstellation und damit modifiziert sich auch deren Gestalt im Auge des betrachtenden
Behandlers. Der Vorgang könnte entfernt an das Schütteln eines Kaleidoskops
erinnern, in dem die Lage der Glassteinchen sich ändern und ein neues Bild entstehen
kann, mit anderen Bezügen und veränderten Wertigkeiten. Anders als beim
Kaleidoskop vermehrt sich in einer therapiebegleitenden Diagnose jedoch zusätzlich
ständig die Anzahl der Elemente durch die neu hinzukommenden Informationen. Ist die
Menge dieser Informationen zu unübersichtlich, dann leidet die Qualität der
Diagnose, das ist bekannt und belegt. Da die Menge der Informationen zu Beginn einer
Diagnose, die ein Behandler verarbeiten kann, natürlicherweise durch sein individuelles
Fassungsvermögen begrenzt ist (auch das ist beforscht), ergibt es sich quasi von selbst,
dass weitere der Individualdiagnose zuzuordnende Informationen erst nach und nach im Verlauf
der Behandlung erhoben werden können.
Messung von Herzschlagfrequenzen und Blutsauerstoffwerten
Eines dieser diagnostischen Verfahren, die man in der Verlaufsdiagnose einsetzen kann, ist
die Messung des Herzschlags und des Blutsauerstoffwerts vermittels eines Geräts mit
Fingerfühler.
Messungen von Herzschlag (HF) und Blutsauerstoffwert (BSW) verschaffen Informationen
über vegetative Anteile in der Interaktion mit der Umgebung in aktuellen Situationen
oder solchen, die im Gespräch erörtert werden. Über Fragen sind Informationen
dieser Art kaum zu ermitteln. Durch Beobachtung können nur sehr grobe Anhaltspunkte
gewonnen werden wie Blässe und Kälte in den Extremitäten oder eine
Rötung des Gesichts. Ein starr oder verträumt wirkender Blick kann durch
intensives Nachdenken wie auch durch einen beträchtlichen Abfall der HF entstehen
– dem bloßen Augenschein nach ist das nicht zu entscheiden, um was es sich handelt.
Die Anregung, ein solches Gerät in der therapeutischen Praxis zu verwenden, entstand
bei der Bearbeitung von Daten aus einer Praxis für Manualtherapie (Dr.L.E.Koch, Hamburg)
vor einiger Zeit.
Es ging damals um die Veränderung von Herzschlagfrequenzen (HF) bei manualtherapeutischen
Behandlungen von Säuglingen. In dem damals veröffentlichten Artikel
(L.E.Koch, H.Koch, S.Graumann-Brunt, D.Stolle, J.M.Ramirez and K.S.Saternus: Heart rate changes
in response to mild mechanical irritation of the high cervical spinal cord region in infants.
Forensic Science International Volume 128, Issue 3, August 28, 2002, Pages 168-176) war der Fokus
des Interesses auf Vorgänge gerichtet, die zu einem SID führen könnten;
betroffen waren die sehr jungen Säuglinge. Es gab jedoch weitere Informationen, die bei
den älteren Säuglingen (ab 4 Monaten) zu beobachten waren.
Bei manchen Kindern stiegen die HF immer weiter an, bei anderen sanken sie nur ab, bei wieder
anderen stiegen sie sehr stark an, um dann wieder zu sinken und wieder zu steigen. Die Suche
nach einem Schema, nach einem oder mehreren vorherrschenden Prinzipien war damals nicht weiter
zu führen, ganz zu schweigen von einer Annäherung an Ursachen, die für diese
Unterschiede zuständig waren oder der Möglichkeit einer Bewertung der Vorgänge.
Der Verarbeitungsprozess dieses Aspekts kam dann auch auf halbem Wege zum Stillstand (wie es
eben in der empirischen Forschung oft der Fall ist). Die ungelösten Fragestellungen wurden
in den therapeutischen Alltag verschoben. Übrig blieb allerdings das Bewusstsein, dass
ungesehen, sozusagen hinter den Kulissen sich in den autonomen Funktionen in
unerwarteter Form Prozesse abspielen können, die einen großen Einfluss auf die
Art und Weise, mit der Kinder mit sie fordernden Situationen fertig werden, nehmen können.
So kam es zu der Verwendung des Geräts zur Messung der HF und des Blutsauerstoffwerts
in der therapeutischen Diagnose und Therapie.
Seitdem ist diese Messung der HF und des BSW in der Praxis, aus der berichtet wird, zu einem
unverzichtbaren und wertvollen Bestandteil des Diagnose- und Therapiealltags von Kindern, aber
auch von Erwachsenen geworden.
Es versteht sich von selbst, dass der Gefahr der Überinterpretation einzelner Ergebnisse
begegnet werden muss. Stets muss unbedingt darauf geachtet werden, dass es sich nur um
Hinweise handelt, die fehlerbehaftet sein können. Da es jedoch problemlos ist, den
Fingerfühler für eine Weile angesteckt zu lassen und dann en Passant alles, was
vorgeht, beobachtet werden kann, können relativ viele Informationen gesammelt und
später gesichtet werden. Hilfreich ist das Gerät auch bei Übungen wie z.B.
der Anbahnung des /sch/-Lauts (Einsatz der Bauchmuskulatur) oder bei der Arbeit an der
Bauchatmung, – ein Angebot, das ausgesprochen gerne angenommen wird, denn dann kann der
Patient die Auswirkungen seiner Bemühungen auf dem Gerät verfolgen.
Hier werden einige der besonders einprägsamen Phänomene, bei denen die Ermittlung
der HF hilfreich war, der Veranschaulichkeit halber skizziert; z.B. kamen bedeutende
Rückgänge ins Visier
- bei Aufgaben, die gestellt oder angesprochen werden,
- bei Leistungsproblemen im Rechnen,
- bei Leistungsproblemen vergesellschaftet mit Verdauungsstörungen,
- bei Blickwendungen (unterschiedliche Fälle und Probleme, z.B. auffällig beim
Lernen des Lesens),
- bei einem Angesprochen werden durch Fremde, aber auch durch (enge/weitere) Verwandte
oder Bekannte (häufiger auftretend bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen, die
frühgeboren waren);
- beim Vorhandensein von Narben, Hautbesonderheiten (verschiedener Art, in einem Fall von
Infusionsgeräten aus der frühkindlicher Zeit, aber auch angeborenen Hautlappen
etc.),
- beim Berühren der Hände oder der Füße (insbesondere zwei
Fälle mit Sectio in der Lebensgeschichte),
- beim Gespräch über Schulschwimmen im Hallenbad (z.B. in einem Fall nach überlebten
SID mit Reanimierung - extremer Rückgang der HF),
- bei Lageveränderungen (sehr stark und langandauernd bei einem Kind mit Louis Bar Syndrom),
Die Zusammenstellung der Maßnahmen war je nach Fall verschieden. Hier werden
einige ausgewählte Maßnahmen aufgeführt, bei denen über die Arbeit mit
dem Gerät Informationen über Fortschritte gewonnen werden konnten:
- an der neurophysiologischen Entwicklungstherapie orientierte Übungen, aber auch
einfache Übungen mit geschlossenen Augen, die Arbeit am Blickverhalten mit offenen
und geschlossenen Augen, die Arbeit an senkrechten Linien (Orientierung an der Schwerkraft)
mit Blick-, aber auch mit Zeichenübungen, Arbeit an der Aufrichtung, Mobilisierung der
Nackenregion (der Wachheit), Anregung, an der Lösung von Blockaden und dem Kreuzmuster
der Fortbewegung zu arbeiten (Grobmotorik), Arbeit an der Seitigkeit/der hemisphärischen
Organisation, Massieren der Fingerspitzen und feinmotorische Übungen,
- verhaltenstherapeutisch orientierte Maßnahmen, einfühlsame Gespräche,
Gespräch mit dem Ziel, bislang verdrängte Besonderheiten zu akzeptieren und an
deren Desensibilisierung zu arbeiten, Weitergabe von fachlich orientierten Informationen,
(die das aktuelle Problem betreffen),
- Arbeit an Inhalten, Desensibilisierung gegenüber Aufgaben in der Schule, Absprachen
mit der Schule,
- Befassung mit Problemen der Ernährung/Verdauung,
- Absprache bzgl. der Vermeidung schädigender Vorgänge (z.B. den Lageveränderungen
bei Louis Bar Syndrom).
Die Dokumentation des Verlaufs der Messungen der FH und des BSW bot Anhaltspunkte bzgl.
der Wirksamkeit der Maßnahmen.
Die Frage, warum dieses Prüfmittel nie Eingang in die Therapie gefunden hat, kann
nicht beantwortet werden. Ein gutes Gerät ist nicht gerade billig, auf der anderen
Seite ist es lange haltbar. Vielleicht trägt auch die Fragwürdigkeit und
vielleicht auch die Unzuverlässigkeit von Lügendetektoren zu Ablehnungen
bei, wobei die Situation hier völlig anders ist, denn der Patient ist ja daran
interessiert, weiterzukommen. Vielleicht ist es auch einfach nicht bekannt und ungewohnt.
Da die Geräte seit langem ihren Platz in kinderärztlichen Praxen gefunden haben,
liegt ein Anhaltspunkt bzgl. ihrer Nützlichkeit vor. Sie können guten Gewissens
empfohlen werden.
Leider ist es nicht möglich, mit so einem Gerät weitergehend Informationen
über hemisphärisch bedingte Besonderheiten zu erhalten, das ist vielleicht
ein Anliegen für die Zukunft.
Anhang
Im Anhang werden einige der Ergebnisse, die dem oben erwähnten Datensatz entnommen werden konnten,
vorgestellt. Die Säuglinge wurden manualtherapeutisch behandelt. Der Messung der Frequenzen der
Herzschläge vor, während und nach der Behandlung kann man Auskünfte über Vorgänge,
die sich „hinter den Kulissen“ abspielen, entnehmen.
Veränderungen der Herzschlagfrequenzen bei Säuglingen ab 4 Monaten
Den gesamten Vorgang (Messung der HF bei der Behandlung der Säuglinge) kann man in drei Phasen
einteilen, nämlich in eine Zeit vor der Behandlung (= Wartephase/1./2.Messungen), die Behandlung
selbst (=Behandlungsphase 2./3.Messungen unmittelbar vorher und nachher) und eine Zeit nach der Behandlung
(=Postbehandlungsphase/3./4.Messungen), also mit insgesamt 4 Messungen (1., 2., 3., 4.Messung). Die Werte
der 3.Messung fallen in der Hinsicht auf, dass sie mit denen der anderen 3 Messungen zwar immer noch
höchstsignifikant, aber dem Korrelationsbetrag nach auf einem wesentlich geringeren Niveau korrelieren
(.44 bis .32) als die anderen Korrelationsbeträge untereinander (.84 bis .71).
Durch die Ermittlung der drei Differenzbeträge (Differenz HF/Wartephase, Differenz HF/Behandlungsphase,
Differenz HF/Postbehandlungsphase) können Veränderungen der HF in dem jeweiligen Abschnitt
ermittelt werden.
Bereits die HF in der 1.Messung unterscheiden sich bedeutend. Setzt man sie zu der HF-Veränderung
in der Wartephase vermittels Kreuztabellen in Bezug, so entsteht dieses Bild:
Tabelle 1: Verteilung der Kinder mit Veränderungen der HF in der Wartephase nach den links
in der Tabelle gruppierten Frequenzabschnitten aus der 1.Messung; Angabe der Säuglinge ab 4 Monaten
in %. Methode: Crosstabs (PSPP). Die Verteilung ist höchstsignifikant überzufällig
((Pearson Chi-Quadrat Sign.2-seitig .000 df=20, N=448); blau: Verminderung HF, rot: Anstieg HF.
Auffällige Werte hervorgehoben.
Zeilenweise 100%: Wie in dieser und allen folgenden Tabellen wird auf- und abgerundet; dadurch
werden 100% manchmal über- oder unterschritten.
Den Ergebnissen dieser Tabelle 1 kann man folgendes entnehmen:
1. Von den Kindern, die beim Eintreffen in der Praxis besonders niedrige HF/1.Messung hatten (101-120),
neigten in der Wartephase fast alle zu einer Erhöhung der HF.
2. Von denjenigen Kindern, die ab 181-200 höhere HF/1.Messung hatten, tendierten etwas mehr als ein
Drittel zu einem Abfall der HF.
3. Von den Kindern mit mittleren HF/1.Messung (141-160) hatten die meisten nur geringe
HF-Veränderungen.
Wie zu erwarten, veränderten sich die Verhältnisse während der Behandlung, ganz abgesehen
davon, dass die Differenzwerte zwischen 2. und 3.Messung eine wesentlich größere Spannweite
aufweisen. Es fällt besonders auf, dass von den Kindern, die unmittelbar vor Beginn der Behandlung
besonders hohe HF aufwiesen, relativ viele während der Behandlungsphase ihr HF-Niveau beibehielten
(20%), ganz im Gegensatz zu der Gruppe mit einem zunächst besonders niedrigen HF-Niveau, in der
alle eine Veränderung der HF aufwiesen. Insgesamt sind die Rückgänge der HF in den
Gruppen mit Frequenzen unter 180 während der Behandlungsphase häufiger als die Zunahmen
(Ausnahme: Kinder mit HF 121-140), am bedeutendsten sind sie (insgesamt 75%) in der Gruppe mit ohnehin
niedrigen HF unmittelbar vor der Behandlung. Schon in Tabelle 1 fallen Kinder mit niedrigen HF auf.
In der Postbehandlungsphase ergibt sich wieder ein anderes Bild: Auch hier ist in der Gruppe der Kinder
mit höherem anfänglichen HF (181-200) der Anteil an Kindern (13%) mit stabilem HF-Niveau
höher als bei den anderen Gruppen. Bei Kindern mit niedrigeren HF sieht man in der
Postbehandlungsphase fast nur HF-Anstiege, die umso bedeutender zu sein scheinen, je niedriger
die Werte in der 3.Messung notiert waren. Diesen Sachverhalt sichert der mit -.77 recht hohe
Korrelationswert zwischen den HF aus der 3.Messung und den Differenzen zur 4.Messung
(Pearson, 2-seitig, Sign. .000). In allen Untergruppen sind die HF-Anstiege in Tabelle 3
(Postbehandlungsphase) häufiger als die Rückgänge.
Verläufe in stabilen Untergruppen
Die Unterschiedlichkeit dieser Verläufe war bereits früher aufgefallen und war der eigentliche
Anlass für diese Rechnungen. Um Verläufe besser sehen zu können, werden deshalb jetzt
3 Untergruppen (=Gruppen) aus der 1.Messung (mit fixiertem Bezugsrahmen) ausgewählt;
die Änderungen/Differenzen der HF werden dann jeweils in den drei Phasen betrachtet.
Die Gruppenzusammensetzung bleibt also hier erhalten. Zur Auswahl: Die Gruppen mussten
in allen Messungen vertreten und bereits auffällig geworden sein, Ausreißer
und Extremfälle werden nach Möglichkeit vermieden.
Gruppe 1: Gruppe der Kinder mit HF von 100-120 in der 1.Messung (in den Tabellen
unten gelb unterlegt). Kinder mit solchen HF-Raten waren in der Wartephase durch Anstiege, in der
Behandlungsphase wegen der häufigeren und stärkeren Rückgänge und in der
Postbehandlungsphase wegen der besonders ausgeprägten Anstiege der HF aufgefallen.
Gruppe 2: Gruppe der Kinder mit HF von 141-160 in der 1.Messung. Bei diesen Kindern
schienen bei mittleren HF-Raten die Veränderungen der HF-Raten sich in einem mäßigen
Rahmen zu halten (in den Tabellen unten grau unterlegt).
Gruppe 3: Gruppe der Kinder mit HF von 181-200 in der 1.Messung. Die Höhe der HF in
der 1.Messung war auffallend, bei betroffenen Kindern waren jedoch gegen die (anfängliche!)
Erwartung die Stabilitätswerte (Prozentwerte der Differenz 0) in allen Phasen am höchsten
(in den Tabellen unten grün unterlegt).
Mittelwerte
Tabelle 2: HF-Mittelwerte in der Gesamtgruppe und den 3 Untergruppen in den 4 Messungen
Die Mittelwerte (MW) in Tabelle 2 zeigen bereits den Trend an. Alle Mittelwerte unterscheiden sich auf
höchstsignifikantem Niveau, mit einer Ausnahme: Die Mittelwerte zwischen dem der Gruppe1 und dem
der Gruppe2 in der 3.Messung unterscheiden sich nicht signifikant. Auf der einen Seite ist es von
Bedeutung, weil es sich um die Messung unmittelbar nach der Behandlung handelt, aber dieser Sachverhalt
kann andererseits nicht problemlos gewertet werden, weil die anfänglichen HF dabei nicht
berücksichtigt werden.
Verteilung
In der unten folgenden Tabelle 3 wird versucht, die Unterschiede zwischen den Gruppen besser in den
Griff zu bekommen. Die Vorgänge bzgl. der Veränderung der HF in den drei Phasen werden
aufgelistet.
In jeder Phase finden sich Angaben zu den Prozentzahlen an Kindern (bezogen auf die jeweilige Untergruppe),
die die entsprechende Veränderung der HF (siehe die Angaben in der linken Spalte) aufweisen. Die
weniger bedeutenden Abweichungen nach oben und nach unten von -19 bis +20 sind der Übersichtlichkeit
halber zu einer Zahl zusammengefasst.
Tabelle 3:
Anteil an Kindern in Prozentwerten in drei verschiedenen Kindergruppen mit den Veränderungen/Differenzen
von HF-Raten in WARTEphase, BEHANDLUNGsphase und POSTbehandlungsphase.
Die Kindergruppen aus der 1.Messung bleiben in ihrer Zusammensetzung für die gesamte Tabelle 3 erhalten.
Die Zahlen sind auf- oder abgerundet.
Zeilenweise gelesen ergeben sie 100% in der jeweiligen Gruppe.
Alle Unterschiede in der Verteilung der Kinder mit den in der linken Spalte aufgelisteten
Differenzbeträgen in den drei Gruppen in allen drei Phasen sind überzufällig auf
höchstsignifikantem Niveau.
Der höhere Anteil an Kindern mit einer Zunahme der HF in der Wartephase in Gruppe1 (Zunahme
mehr als 20HF bei 28%) wurde oben schon erwähnt (siehe auch Tabelle 1). Man muss jedoch
bedenken, dass trotzdem noch viele der 72% Kinder dieser Gruppe in relativ niedrigen HF verharren
und dass in der Behandlungsphase gerade in dieser Gruppe der Anteil an Kindern mit einem weiteren
Rückgang der HF (44% gegenüber den 38% und 25% in den anderen beiden Gruppen) hoch ist.
Nicht nur hier in Tabelle 3, sondern auch in der Gesamtgruppe in der Behandlungsphase war ein
häufigerer und stärkerer Rückgang bei den Kindern mit ohnehin niedrigen HF zu sehen.
In der Postbehandlungsphase ist wieder die Gruppe 3 die mit den meisten Kindern mit stabilen Werten (69%).
Stärke der HF-Abweichungen
Über die Stärke der HF-Schwankungen kann etwas über die Summe der Absolutbeträge der
3 Differenzen (Wartephase, Behandlungsphase, Postbehandlungsphase) in Erfahrung gebracht werden.
Wird die Summe vermittels einer Kreuztabelle ins Verhältnis zu der Zugehörigkeit zu den
3 Gruppen gesetzt, so ist die Verteilung auf signifikantem Nivaeu überzufällig. Recodiert
man die recht große Spannweite der Summenwerte der besseren Übersicht halber, so ist das
Ergebnis hochsignifikant überzufällig (Pearson Chi-Quadrat df=16, .001), der Unterschied
ist der Zusammenfassung der Extremwerte geschuldet.
Tabelle 4: Verteilung der recodierten Summenwerte der FH-Veränderungen/Differenzen in den
3 Phasen auf die Gruppen1-3
- Auffällig ist die schwache Besetzung der Summenwerte 73-96.
- Die 10% der Kinder, die trotz hoher anfänglicher HF entgegen dem Trend in der Gruppe 3 noch
recht starke Schwankungen aufweisen, sind ebenfalls auffällig. Es sind dieselben Säuglinge,
die in dieser Gruppe besonders hohe Werte in der Postbehandlungsphase und besonders niedrige in der
Behandlungsphase hatten, wie eine Überprüfung mittels der Versuchspersonenkennzeichnungen ergab.
Bei einigen dieser Kinder (4 Monate alt) mag das Alter eine Rolle gespielt haben, sie könnten
eher in die Säuglingsgruppe gehören, die hier ausgeschlossen wurden (1-3 Monate alt), aber das
trifft nicht für alle zu. Im Mittelwert sind die Kinder in der Gruppe 3 einen Monat älter als
die in Gruppe 2, aber der Alters-MW der Gruppe 3 ist nahezu gleich mit dem der Gruppe1.
Zusammenfassung
Nach den Ergebnissen sind in der Gruppe mit den niedrigen HF (Gruppe 1) in jeder Phase mehr Kinder
mit stärkeren Veränderungen zu finden und zwar hinsichtlich der Bradykardien (Behandlungsphase)
als auch der Tachykardien (Wartephase und Postbehandlungsphase). Bei den Kindern, die bereits zu Anfang
höhere HF aufwiesen (Gruppe 3) war das Gegenteil der Fall, hier waren die Gruppen mit stärkeren
Veränderungen weniger besetzt, allerdings mit der Ausnahme der 10-13% der Kinder, mit sogar besonders
starken HF-Differenzen.
Zur Ursachenklärung konnte die hier vorgestellte statistische Auswertung der Daten nichts beitragen.
Anders als bei den sehr jungen Säuglingen, die ja hier nicht einbezogen wurden, trat bei diesen
Berechnungen entgegen der Erwartung das Alter nicht mehr entscheidend in den Vordergrund (mit der
beschriebenen Ausnahme in Gruppe 3).
Das häufigere Vorkommen des Befundes C2L in der Gruppe1 (mit 24% der Gruppe doppelt so hoch wie in
den anderen beiden Gruppen mit 13% und 10%) kann hier nur angemerkt werden, es ist nicht vermittels
Prüfstatistik gesichert. Der Beobachtung müsste in weiteren Untersuchungen oder in der Praxis
nachgegangen werden. Die Doppellinksverlagerung, die früher in der Pilotstudie aufgefallen war,
tritt hier nicht in den Vordergrund. Dort aber handelt es sich um eine andere Klientel mit älteren
Kindern, die Prozesse dazwischen entziehen sich einer für eine Beurteilung ausreichende Kenntnis.
Genauso wenig weiß man über die Vorgänge, die vor dem Betreten der Praxis abliefen und
ob die Kinder in einer Normalsituation ähnliche Werte der HF hatten wie die hier
gesehenen. Dass es stärker ausgeprägte Verläufe der HF-Veränderungen mit einem
zu vermutenden höheren energetischen Bedarf für die Regenerierung bei den Kindern mit
niedrigen HF im gesamten Ablauf gab, kann jedoch als gegeben gewertet werden.
Die Ergebnisse werfen allerdings mehr Fragen auf, als dass sie Antworten geben. Erstens fragt es sich,
inwieweit die Tatsache der ausgewählten Klientel (Bedarf an einer manualtherapeutischen Behandlung
mit der Diagnose KISS) die Ergebnisse einschränkt. Spezifika der Problemlage im okzipitalen Bereich
zeigten jedoch bei der Verteilungsprüfung zwischen den drei Untergruppen hier keine
Überzufälligkeit (mit der einen dem Betrag nach beobachteten Auffälligkeit bei
dem C2L). Positiv ist, dass die Kinder infektfrei waren, da sie ansonsten nicht behandelt worden
wären. Der Frage, ob es tatsächlich so sein könnte, dass bei besonders niedrigeren
HF und anstehenden Aktionen eine Tendenz zu weiteren Verminderungen der HF im Raum steht, müsste
in weiteren Untersuchungen nachgegangen werden.
Den Zusammenhang zwischen dem Status der Versorgung mit Blutsauerstoff in der kindlichen Entwicklung
allgemein und speziell beim Erwerb der in unserem Leben so wichtigen zivilisatorisch orientierten
Lerninhalte wird kaum jemand bestreiten. Es wäre demnach ratsam, Umstände der hier angesprochenen
Art in den Fokus des allgemeinen und professionellen Wissens einzubinden und bei der Bewertung von
Leistungen im Auge zu behalten. Die oben angesprochenen Erfahrungen in der Praxis (die ja den Anlass
für diesen Text bildeten) geben Hinweise, anzumahnen, dass den sogenannten einfacheren
Vorgängen in vielen Hinsichten mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.
Grob gesagt: Die Basisarbeit, die viel mehr zu kognitiven Leistungen beiträgt, als wir
ahnen, muss stimmen. Wie soll ein Kind schnell lesen können, wenn die Blickwendung und die Fokussierung
auf das Schriftbild seine HF auf etwas mehr als 20 abfallen lässt und eine lange Phase der
Stabilisierung folgt, bei der die bereits erarbeiteten Silben der Vergessenheit anheimfallen? Auf
die Erfordernis, den angeblich einfachen für primitiv gehaltenen Vorgängen
und deren energetischen Schwerpunkten im subkortikalen Bereich mehr Aufmerksamkeit zu widmen, hat
dankenswerter Weise auch Frau Dr.Zelinsky hingewiesen, wenn auch in einem etwas anderem Zusammenhang.
Auch LLinas öffnet hier Fenster auf andere Sichtweisen der Dinge, wenn er das Zusammenwirken des
Kapitäns mit seiner Mannschaft als Beispiel heranzieht.
Die Ursachen für die hier bei den Kindern mit besonders niedrigen HF erfassten Phänomene
können aus vielen recht verschiedenen Einflüssen, aktuell vorhandenen oder überdauernden,
singulären oder kumulierenden stammen Bei älteren Kindern müsste man Folgen einer
geringeren peripheren Versorgung durch die HF-Rückgänge einbeziehen, die aktuell
feinmotorische Systeme in den Hintergrund drängen können (darauf wird man indirekt aufmerksam,
wenn man sieht, dass die Blutversorgung in den so überaus wichtigen Fingerspitzen nicht mehr
ausreicht und das Gerät aussetzt).
Der geringeren peripheren Versorgung nachfolgend könnten auch Systeme wie das der Annäherung
(=Anfassen!) zurücktreten und Vermeidung in den Vordergrund rücken (siehe das bekannte Regelspiel
mit Aktivierungen und Hemmungen zwischen den linkshemisphärisch und rechtshemisphärisch
niedergelegten Systemen). Das eigentliche Potential eines Kindes kann durch solche Vorgänge
durchaus verborgen bleiben. Niedrige Werte in der Aktivität des autonomen Nervensystems sind früher
schon in Untersuchungen zur Soziopathie aufgefallen, nachzulesen bei Davison/Neale,
Klinische Psychologie 1979 S.244. Allerdings ist immer im Kopf zu behalten, dass konsequent
durchgeführte sportliche Aktivitäten dazu beitragen können, die HF zu vermindern. Auf der
anderen Seite ist es plausibel, dass zu geringe BSW das Lernen erschweren, denn schließlich
erfordert die Langzeitspeicherung insbesondere im deklarativen Bereich einen stabilen, langanhaltenden
Stand des Bewusstseins.
Da es jedoch das ureigene Anliegen der Diagnose ist, aus dem Zufälligen herauszuführen und
mehr und Genaueres über ein vorliegendes Problem zu wissen, ist es geraten, einen Blick auch auf
äußerlich nicht sichtbare Funktionszusammenhänge zu werfen. Diese Einsicht führte
vor fast 20 Jahren wie auch heute noch zu der Verwendung des Geräts in der Diagnostik und Therapie
von Entwicklungsstörungen, bei der die vom Patienten gegebenen Informationen mit den Ergebnissen
der HF in Zusammenhang gebracht wurden und werden, in der Hoffnung - den Ursachen auf diese Weise näher
zu kommen.
Copyright 2019 Dr. Sigrid Graumann-Brunt
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