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Die Messung des Herzschlags und des Blutsauerstoffwerts in der therapiebegleitenden therapeutischen Diagnose

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    © 2020 Dr. Graumann-Brunt

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Verdachtsmomente








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Verdachtsmomente

Als ich anfing, mich mit dem Wesen der Diagnose auseinanderzusetzen, stolperte ich über ein Buch von Pieter B. Bierkens. Er kam völlig aufgewühlt von einem Kongress nach Hause, denn es hatte dort einen heftigen Eklat wegen eines Diagnosemodells gegeben. Ich würde sagen, das Geld für diesen Kongress hatte Bierkens gut angelegt, denn Auseinandersetzungen auf einem Kongress sind meiner Meinung nach immer noch besser als Langeweile. Und zu meinem Glück schrieb er daraufhin dieses Buch.

Diagnose hat von Haus aus viel mit Nachdenken über unsere Patienten zu tun. Zunächst scheint eine Diagnose klar zu sein, aber je länger die Therapie andauert, desto mehr entsteht das Gefühl eines unüberschaubaren Dickichts, in dem Fallen lauen. Der Grund dafür ist recht einfach: Die Fallen stellen wir uns selber, denn wir können nur das erfassen, was wir schon kennen. Mit jedem Fall begegnen uns jedoch neue Phänomene, die sich nur mit Gewalt in eine der uns bereits zur Verfügung stehenden Schubladen pressen lassen. Diese nonkonformen Phänomene treiben uns um, sie geben keine Ruhe, sie wollen Besseres.

Zum Beispiel L. war noch nicht eingeschult, aber es war unübersehbar, dass Lernschwierigkeiten auftreten würden. Nicht nur, dass L. sich nicht wie andere Kinder auf das Spielzeug stürzte, sie saß da wie eine massive Statue, antwortete auf Fragen mit einem Einwortsatz und schwieg dann wieder in ihrer einsilbigen Welt. Es haperte offenbar sowohl auf der sprachlichen, als auch auf anderen Ebenen der kindlichen Entwicklung. An Willigkeit fehlte es bei ihr nicht, aber der Therapieverlauf war dennoch zäh.

Ich kam ins Grübeln, was dahinter stecken mochte. Die Familie vermutete eine psychische Problematik, denn es war noch ein Geschwisterchen nachgekommen, nachdem L. längere Zeit die Jüngste gewesen war. Aber irgendwie schien das für L. kein entscheidendes Problem zu sein. Ich zog hingegen eher ein Schilddrüsenproblem im Hintergrund wirkend in Betracht. Gespräche über ein nicht ausreichend erfolgreiches Toilettentraining tauchten immer wieder auf und das an dem für Wahrheiten bevorzugten Ort: Zwischen Tür und Angel. Ich kürze es ab: Erst eine stationär durchgeführte Untersuchung zeigte, dass L. jahrelang sehr schwere Verdauungsprobleme/Verstopfungen hatte und dass das System über Durchfälle verzweifelt versuchte, den überfälligen Darminhalt loszuwerden.

Eine unerkannte Verdauungsstörung vergesellschaftet mit Entwicklungsstörungen wie bei L. blieb kein Einzelfall in meiner Praxis. Andere Patienten, die ebenfalls dieses Problem hatten, kamen mit Zuschreibungen wie Autismus oder sogar einer geistigen Behinderung in Therapie. Etliche dieser Kinder hatten diese wunderschönen, sehr festen Haare, die rötlich und goldfarben leuchteten. Ob es sich dabei um Ablagerungen von Stoffen, vielleicht von Metallen handelt, kann ich bis heute nur vermuten. Alle diese Kinder wirkten körperlich massiv und waren schwer, wenn man sie hochhob.

Dass es eine Weile dauerte, bis diese den Kern berührende Ursache bei L. ans Tageslicht kam, ist nicht untypisch für eine Individualdiagnose. Auch wenn Diagnose ihrer Natur nach etwas mit Wiedererkennen zu tun hat, wie bei meinen späteren Fällen ersichtlich, ist Diagnose an sich nicht statisch. Sie ist nicht wie eine Sache, sondern vielmehr ein konvergierender Prozess. Bierkens stellt diesen Prozess sehr anschaulich dar: Neue Gesichtspunkte kommen hinzu, werden wieder verworfen usw. Unbemerkt, allerdings äußerst entscheidend gehen viele unterbewusst gespeicherte Inhalte in diesen konvergierenden Prozess ein. Empathie ist gefragt, denn wir fühlen uns in den Patienten ein, ob wir wollen oder nicht – es handelt sich hierbei um rechtshemisphärisch erlebte Anteile im Diagnoseprozess. Bekanntermaßen waltet in der rechten Hemisphäre Bildsprache, nicht die Lautsprache. Deshalb ist es auch nicht unbedingt leicht, das, was man diagnostisch erkannt hat, anderen zu vermitteln.

Noch etwas: Die Gespräche mit den Eltern sind wichtig, auch wenn sie nicht unbedingt auf der Stelle zu einem für die Therapie nützlichen Ergebnis führen. Der Austausch hat es an sich, schlummerndes Wissen zu wecken, das sich dann schleichend wie im Fall von L. den Weg an das Tageslicht bahnt.

© Dr. Sigrid Graumann-Brunt 2020