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    © 2020 Dr. Graumann-Brunt

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Glück und Nützlichkeit








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5. Glück und Nützlichkeit

Ich kann mich gar nicht erinnern, dass Eltern jemals mit der Bitte in meine Praxis gekommen wären, ihrem Kind zu helfen, weil es nicht glücklich sei.

Eltern klagen darüber, dass es in der Schule hapern würde, dass ihr Kind ständig vor dem Laptop säße, dass ihr Kind nicht sprechen würde oder dass die Aussprache nicht perfekt wäre. Man erfährt, dass das Kind nicht rechnen könne, dass es zu dick sei, dass es sich nicht bewegen würde, dass es keine Freunde habe, dass die Lehrerin mit seinem Verhalten unzufrieden sei usw. Beschäftigt man sich näher man den vorgebrachten Klagen, so betreffen so gut wie alle einen Mangel im optimalen Funktionieren innerhalb der Parameter der gesellschaftlichen Norm. Das Kind erfüllt nicht das von der Umgebung erwartete Idealbild.

Die Eltern haben große Angst, dass ihr Kind später in der Gesellschaft nicht funktionieren könne und deswegen im Elend landen würde. Natürlich ist diese Einschätzung nicht unrealistisch und es ist durchaus vonnöten, sich mit den beklagten Problemen zu befassen. Schließlich leben wir alle in einem gesellschaftlichen System, das bestimmte Anforderungen an das Individuum stellt. Aber gibt es wirklich nicht mehr im Leben eines Kindes?

Betrachten wir den Fall von S.: Er hat das Schreiben nach Gehör erlernt und sitzt jetzt, im 4. Schuljahr, da mit einer normabweichenden Rechtschreibung. Die automatisierten falschen Konzepte sind nur sehr mühsam zu überschreiben. Überraschend ist das nicht, denn diese Konzepte widerstehen einer Revision besonders hartnäckig. Er sieht sich selbst als Versager. Seine inzwischen zur Legasthenie gewordene Rechtschreibproblematik ist ein Dauerthema in Schule und Familie und macht ihn unglücklich. Die Schriftsprache ist ihm unheimlich, was ihn beim Schreiben und Lesen hindert. Dass er hingegen wunderbar kreative und handwerklich ausgefeilte Objekte herstellt, scheint kaum von Bedeutung zu sein.

Für sein Dilemma kann S. nichts. Manche Kinder lernen Schreiben und Lesen mühelos, bei anderen geht es nicht ohne kompetente Hilfestellung. Den Gründen dafür muss an anderer Stelle nachgegangen werden - sie sind auf jeden Fall vielfältiger Natur. Das Unglück mit der Rechtschreibung übernimmt S. seinem Umfeld. Er lernt und vertieft dieses Unglücklichsein, lernt, dass er versagt und verliert dadurch an Selbstvertrauen. Er könnte in seinem Innersten verbittert werden, da er seiner Umgebung vertraute, ihm das aber geschadet hat. Dies kann zu einer Entfremdung von sich selbst und von seiner Umwelt führen.

S. ist kein Einzelfall. Schriftsprache wird in unserer Gesellschaft wegen ihrer Nützlichkeit hoch gehandelt und Nützlichkeit steht an erster Stelle. Aber Nützliches sollte auch sinnvoll sein und darf nicht unglücklich machen. Keineswegs müssen und können Kinder unaufhörlich glücklich sein, aber sie brauchen und verdienen glückliche Momente. Damit ist nicht der Spaß bei Events gemeint oder das Gefühl, sich durchgesetzt zu haben, auch nicht der Zustand der Zufriedenheit, sondern ein unbestimmbares, inniges, seliges Gefühl. Um es zu beschreiben, sind Worte nicht geeignet, Metaphern taugen: Es ist wie ein warmer Sonnenschein nach einem kalten Winter, wie ein schöner Regenbogen oder wie die Mischung aus Stolz, Erleichterung und Freude Fahrradfahren endlich gelernt zu haben. Beim Spielen können Kinder glücklich sein, dann sieht man ihnen das an.

Schleiermacher hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass der Besuch einer Schule und schulische Anforderungen nicht per se richtig und selbstverständlich sind. Er sprach von Aufopferung von Lebenszeit für einen späteren Moment. Ich gehe davon aus, dass er dabei auch die Verantwortung derjenigen, die die Kinder betreuen, im Blick hatte.

© Dr. Sigrid Graumann-Brunt 2020