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Dr. Sigrid Graumann-Brunt
29. Sehkanäle
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© Dr.Sigrid Graumann-Brunt
Wie gut wir etwas visuell wahrnehmen, hängt nicht nur vom Auge ab, sondern auch
vom Status des Objekts. Zum Beispiel sind sich bewegende Objekte besser zu erfassen
als solche im Ruhezustand, aber wiederum nur bei einer Geschwindigkeit, die der
Fortbewegung von Tieren entspricht. Das hängt damit zusammen, dass das Sehen
keine homogene Sinnesleistung ist, sondern über verschiedene Kanäle läuft,
ähnlich wie das Hören, bei dem unterschiedliche Kanäle für
bestimmte Frequenzbereiche zuständig sind.
Es gibt zum Beispiel ein visuelles Areal, das illusorische Gestalten, , die nicht vollständig oder deutlich zu sehen sind, erkennt.
Ein anderer Bereich des Sehens antwortet mehr auf strahlenförmige und
konzentrische Gestalten.
Ein weiterer Kanal nimmt eben bevorzugt Bewegung wahr.
Primaten haben sogar 32 Kanäle für verschiedene Art visueller Wahrnehmung,
also wesentlich mehr als (erwachsene) Menschen.
Das Wiedererkennen von bekannten Objekten ist schwieriger als das Identifizieren
von Formen (sind mehr Bereiche beteiligt?). Es scheint auch spezifische Areale
im Gehirn für die Erkennung von Gesichtern zu geben; es gibt ja Menschen,
die Gesichter nicht unterscheiden können.
Wir wissen, dass kleine Kinder zunächst keine Größen, keine
Tiefe oder Entfernungen einschätzen können. Sie besitzen auch zu Beginn
kein Gefühl für sich bewegende Objekte, haben deshalb zu der
Distanzveränderung eines sich annähernden Autos kein Verhältnis.
Es ist einfach nachzuvollziehen, dass ein Säugling die Welt anders sieht
als ein Erwachsener, da er andere Erfahrungen hat und sich in einem anderen
körperlichen Zustand befindet; er hat eine völlig andere Perspektive,
die kindliche (narzisstische) Interessenslage dominiert seine Erkenntnisse.
Seine Interessen betreffen Nahrung, Wärme und Schutz, das Sehen ist
zunächst noch nicht so im Zentrum seiner Erlebniswelt, wie es später
der Fall sein wird. Er hat außerdem noch keine Vorstellung von den Dingen,
die er gerade nicht sieht.
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