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Sehen - Sinne - Ich und andere



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Der Film: „Die Umkehrbrille und das aufrechte Sehen“ von Theodor Erismann

Autor: Dr. Sigrid Graumann-Brunt

Sie finden den Film hier: https://av.tib.eu/media/10429

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Diesen Film von Erismann sollte sich jeder anschauen, der mit Therapie, gleich welcher Art, zu tun hat.

Er zeigt, wie die Welt für einen Betroffenen aussehen kann, wenn nur einige der kortikal-subkortikalen Regelkreise, die der Verarbeitung visueller Eindrücke dienen, nicht mehr oder noch nicht in „ordnungsgemäßer“ Weise funktionieren.

Bei der Behandlung von Demenz, aber auch von Autismus wäre es an der Zeit, Störungen der visuellen Verarbeitung von Reizen stärker zu berücksichtigen, als bisher allgemein üblich (sehr nützlich sind Artikel von der Optometristin Dr. Zelinsky, das Buch von Elliott (The ghost in my brain) oder Berichte, die von Mitgliedern der Organisation NORA veröffentlicht wurden, auch das Buch von Lang (Sehen Wie sich das Gehirn ein Bild macht) ist als Hilfe sehr zu empfehlen).

Neben den im Film dargestellten Vorgängen, die künstlich durch eine Umkehrbrille erzeugt wurden, gibt es viele weniger spektakuläre Zusammenhänge funktional neurologischer Art, in denen visuelle Einflussgrößen eine Rolle spielen und die bei Dysfunktionen die normalen Umstände des Lebens erheblich stören können.

Vielfach wird bei einer Störung des Blickes sehr früh an Autismus gedacht. Tatsächlich ist die Störung des Blickkontakts und die daraus resultierenden Mängel in der zwischenmenschlichen Verständigung eine der Auffälligkeiten, die dem Konstrukt Autismus zugeschrieben werden.

Hier mehr über die Rolle des Sehens zu wissen, wäre wünschenswert. Man könnte versuchen, optometristisch orientierte Befunde bei Untersuchungen zum Autismus hinzuzuziehen und so zu valideren Aussagen zu kommen, die über die Aussagen zur internen Konsistenz, wie man sie auch bei renommierten Prüfverfahren findet, hinausgehen.

Ein solches Vorgehen stünde nicht im Widerspruch zu neueren Forschungen, die in die Richtung weisen, dass sich „Autismus auf fehlgeregelte „Schaltkreise“ im Gehirn zurückführen ließe“. Gerade die Schaltkreise zum Sehen sind bedeutend hinsichtlich ihrer Auswirkungen, aber auch ihres Umfangs. Eine Besonderheit ist, dass sie auf Verschaltungen mit den Erfahrungen aus anderen Sinnesbereichen angewiesen sind, ohne die ist das gesehene Bild nicht nur nicht zu interpretieren, es ist auch in hohem Maße irritierend und destabilisierend.

Erismann hat sich als Student (Physikstudent bei Einstein) früh mit Gravitation beschäftigt. Seinen Auslassungen kann man entnehmen, für wie wichtig er den Umstand hält, dass der Sehsinn bezüglich der Gravitation auf andere Sinneserfahrungen angewiesen ist. Im Film wird das sehr deutlich dadurch: Das Lot und der tastende Stock wirken sich aus. Das Bild beginnt sich aufzurichten!

Allein die Wahrnehmung der Gravitation ermöglicht uns eine Orientierung im Raum. Etwas genauer gesagt, sie ermöglicht uns, einen dreidimensionalen Raum (vernachlässigt man zunächst der Vereinfachung halber die Bewegung) in unserer Vorstellungswelt zu erzeugen. Dieser „innere“ Raum muss möglichst kompatibel zu dem äußeren sein. Diese Kompatibilität ist eine unverzichtbare Voraussetzung für jegliche Aktion und auch für die Entwicklung logischer Bezüge und der Wahrscheinlichkeit.

In der Welt eines Individuums, das dieses innere Abbild des Raums aufgrund von Dysfunktionen in Regelkreisen, die der Verarbeitung visueller Informationen dienen, nicht erstellen kann, herrscht Chaos, es ist darin keine Logik zu etablieren und Schätzwerte sind irrelevant. Nicht nur, dass die gesehenen Bilder ständig schwanken, wie man im Film sieht; die Dinge befinden sich auch nicht an dem Ort, an dem man sie sieht und deshalb auch vermutet. Aber wo sind sie dann?

Die Person, die im Film die Brille aufgesetzt hat, weiß ja, dass die Irritation eben eine Irritation ist. Es handelt sich nicht um ein Kind, das seine Erfahrungen erst noch machen muss. Kinder gehen davon aus, dass alle anderen Menschen die Welt so sehen wie es sie sieht. Es wird sich nicht dazu äußern. Tatsächlich aber kann seine Entwicklung in vielfacher Weise beeinträchtigt sein, wenn Visuelles verarbeitende funktional neurologische Regelkreise Dysfunktionen aufweisen.

Dass die Nachahmung in besonderer Weise betroffen ist, ist unschwer nachzuvollziehen, denn man muss schließlich das Modell beobachten können. Das gilt vor allem auch für die aufgeschobene Nachahmung, die später in das Symbolspiel übergeht und deren Ausbleiben beim Autismus beklagt wird.

Das gilt aber bereits früher, nämlich für die Übernahme von Bewegungsmustern des sozialen Lächelns und der Sprechmotorik (Mimikry); bei beiden Musterarten müssen wir davon ausgehen, dass sie kopierend erworben werden. Hier gibt es mit Sicherheit noch viel zu erforschen, denn setzt man sich die Umkehrbrille auf, so scheint es von Bedeutung zu sein, ob man liegt oder sich aufrichtet. Im Film wurde dem nicht weiter nachgegangen, aber es gibt Anhaltspunkte dafür, dass beim Liegen andere Verhältnisse herrschen.

Was aber kann in der therapeutischen Praxis getan werden, so lange bis die Wissenschaft Genaueres dazu liefert?

Diese Frage ist heikel, weil wir davon ausgehen müssen, dass es im gesehenen Bild Brüche gibt, dh. dass in bestimmten Bereichen des Sehfeldes alles „normal“ gesehen wird und in anderen nicht. Es wird die verschiedensten Abstufungen an Problemen geben.

Sehr gut ist in einem weiteren Zusammenhang bei Erstklässlern zu beobachten, die oft noch Probleme mit der Vertauschung der Buchstaben b und d oder g und p haben. Diese Problematik der Vertauschung der Bildseiten auf der Retina, die über funktional neurologische Regelkreise rückgeführt werden muss, kommt im Film nicht zur Sprache.

Das Problem der Vertauschung der Seiten kommt noch hinzu. Ist die Seitenregulierung nicht in der richtigen Weise etabliert, so wird sie gleichwohl bei den verschiedensten Anlässen zunächst zu Fehleinschätzungen und anschließend dann zu Leistungsproblemen führen.

Was kann man tun: Keinen Schaden kann man anrichten, wenn man mittels einer kleinen Glocke an einer Schnur oder einem Lot erst mal überprüft, ob das Kind die Glocke exakt berührt, oder einen Punkt anzielt, an dem sie sich nicht befindet. Das kann in jedem Quadranten des kindlichen Sehfeldes durchgeführt werden.

Weiter empfiehlt es sich, Erismann zu folgen und mit einem Lot zu arbeiten. Außerdem ist das Ertasten von Gegenständen im Raum von großer Bedeutung. Hierbei sollten die Augen zunächst geschlossen werden, um Irritationen auszuschließen. Anstatt des Stocks, wie er im Film gezeigt wird, ist ein Zollstock eine bessere Wahl, er ist nicht schwer, biegsam und kann weniger Schaden anrichten.

Versucht werden kann auch recht gut ein Abspeichern eines kombinierten Hör- und Seheindrucks. Anders als die elektromagnetischen Wellen, die uns das Sehen ermöglichen, hat das Hören einen Bezug zur Gravitation. Von unserer Entwicklungsgeschichte her hören wir etwas und drehen dann den Kopf dorthin. Das kann gut genutzt werden, indem man mit der oben erwähnten Glocke klingelt, vermittels einer Taschenlampe einen Lichtschein darauf richtet und die beleuchtete klingelnde Glocke in die verschiedenen Richtungen bewegt.

© Dr. Sigrid Graumann-Brunt

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