|
Dr. Sigrid Graumann-Brunt
8. Zählen und Rechnen, ist da ein Unterschied?
|
|
Zählen und Rechnen, ist da ein Unterschied?
© Dr.Sigrid Graumann-Brunt
Zählen und Rechnen werden häufig verwechselt, da beides mit der Erfassung der
Mächtigkeit von Mengen zu tun hat. Während aber der Zählende den Zahlbegriff
(jedes Mal) neu aufbaut, wird beim Rechnen ein (lange vorher abstrakt fixierter)
Zahlbegriff vorausgesetzt und damit jongliert. Dieser Zahlbegriff enthält auch
operative Elemente - die Rechenoperationen sind an die Zahlen gekettet.
Rechnen ist im Gegensatz zum Zählen eine Kulturtechnik und muss erlernt werden.
Zwischen den beiden Formen der Mengenerfassung gibt es einen qualitativen Sprung.
Man kann zählen, ohne ein Abstraktionsvermögen zu haben, aber bei der Bildung des
Zahlbegriffs und der Rechenoperationen ist das Abstraktionsvermögen unabdingbar.
Wie baut man den Zahlbegriff auf? (Verkürzte Darstellung)
- Man bildet Mengen (über Eigenschaften),
- Man ordnet die Elemente der Menge,
- Man bildet Mächtigkeitsklassen (z.B. die Mächtigkeitsklasse 8 = Zahl 8),
- Man fügt die geschriebene Ziffer hinzu,
- man schachtelt die erworbenen Mächtigkeitsklassen wie eine Matruschka,
- man sucht Vorgänger und Nachfolger (Zahlenstrahl),
- man führt das Zehnersystem ein,
- man gliedert den Zahlenraum in vielfältigster Weise,
- man führt Operationen zwischen den Zahlen ein (zunächst Addition und
Subtraktion, später Multiplikation und Division),
- man wendet die Zahlen und die zugehörigen Operationen an, um Probleme zu
lösen (Textaufgaben).
Neben dem Abstraktionsvermögen muss auch das deklarative Gedächtnis aktiv sein,
sonst kann der Zahlbegriff nicht aufgebaut werden. Das Verständnis für das Wesen
von Eigenschaften ist ebenfalls eine der Grundvoraussetzungen. Das gilt auch für
das Vergleichen, denn ansonsten können nicht einmal Zahlenklassen gebildet werden,
geschweige denn die Schachtelung erfolgen.
Eine Ordnung/Reihung (konkret und abstrakt) ist unabdingbar, da diese für das
deklarative Speichern nötig ist. Außerdem muss das Kind gezielt und intentional
handeln können, die Spielform muss linear sein (Öffnung für Neues).
Über kopierendes
Verhalten ist der Zahlbegriff nicht zu erwerben, Eigenaktivitäten und die
eigenständige
Verarbeitung von Erfahrungen sind gefragt, Ängstlichkeit ist kontraproduktiv.
Das Kind muss sich aus der für das Zählen unproblematischen präkognitiven Phase
in die konkret-operationale weiterentwickelt haben.
Wie kann man das Kind beim Erwerb des Zahlbegriffs ganz basal fördern?
So merkwürdig es klingt, es ist auf jeden Fall sinnvoll, am Gleichgewicht zu arbeiten,
da es die Grundlage für die Richtungsbestimmung und die Ordnung liefert.
Ebenso wichtig ist es, über vielfältige manuelle Tätigkeiten die Hände zu entfalten.
Vielleicht wäre der Aufbau des Zahlbegriffs und der Rechenoperationen
mit dem Lernen des Fahrradfahrens zu vergleichen und der späteren Verwendung des Fahrrads
beim Einkaufen (Man kann rechnen!) Weitere Informationen Günter
Graumann Mathematikunterricht in der Grundschule oder Heft 2 Die Entwicklung des
Zahlbegriffs beim Kind.
|