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Dr. Sigrid Graumann-Brunt
19. Selektiver Mutismus – das unfreiwillige Schweigen
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Selektiver Mutismus – das unfreiwillige Schweigen
© Dr.Sigrid Graumann-Brunt
Selektiver Mutismus, was ist das?
Bei selektivem Mutismus handelt es sich nicht um ein bewusstes Schweigen,
sondern um die Unfähigkeit, in bestimmten Situationen Lautsprache
zu produzieren, obwohl der Betroffene in anderen Situationen ohne Mühe
sprechen kann. Der deshalb entstehende Eindruck der Mutwilligkeit trifft nicht
zu. Selektiver Mutismus ist nicht mit Schüchternheit oder Ängstlichkeit
gleichzusetzen.
Die Sprachkompetenz bei Kindern ist im Regelfall nicht generell betroffen;
es liegt jedoch oft ein Mangel an Sprechpraxis vor, der sich im Wortschatz
widerspiegelt; der Grund ist, dass eher nicht mit Erwachsenen gesprochen wird.
Probleme kann es beim Fremdsprachenerwerb geben, da hier das Mündliche besonders
zählt
(Ausgleich durch schriftliche Leistungen nötig).
Was ist die Ursache eines selektiven Mutismus?
Das ist nicht geklärt. Es gibt wohl verschiedenartige Ursachen; bei
Kindern aus einer mehrsprachigen Umgebung wird Mutismus häufiger beobachtet;
es gibt aber auch Hinweise auf familiäre Dispositionen, Traumen,
Gesundheitsstörungen (Allergien) usw..,
Wem gegenüber wird geschwiegen? Das kann sehr verschieden
sein, meist betrifft es aber Erwachsene. Es können Fremde sein,
aber auch vertraute Personen kommen vor. In der Schule ist das Problem allgemein
von großer Bedeutung.
Wie soll sich die Umgebung verhalten?
Ermahnungen oder Ermunterungen nützen nichts, sie schaden nur. Es hat sich
bewährt, ein selektiv mutistisches Verhalten generell, aber besonders in der
Schule, einfach nicht zu beachten. Die Mitschüler müssen
allerdings (kurz) entsprechend instruiert werden (sie sollen keine Bemerkungen machen).
Jede Beachtung durch Dritte vermehrt die Symptomatik über eine (konditionierende)
Verstärkung der emotionalen Befindlichkeit des Betroffenen in der Realsituation.
Mutistische Reaktionen sind, je mehr sie gefestigt sind, desto aufwändiger im Abbau.
Wie kann sich das selektive mutistische Verhalten vermindern?
Das hängt davon ab, wie lange es bereits vorhanden ist (Häufigkeit der
Verstärkung). Wenn diese vegetativ konditionierten Verhaltensweisen vom
Betroffenen reflektiert werden und er sich selbständig dazu entschlossen
hat, sie abzubauen (viel Mut ist dafür erforderlich!), ist eine Unterstützung
durch Therapie sinnvoll; verhaltenstherapeutische Maßnahmen haben sich
manchmal als hilfreich erwiesen (kleine Belohnungen); das Wissen über die Natur
des Problems hat etwas gebracht und auch Übungen aus der neurophysiologischen
Entwicklungsförderung. Die Fortschritte sind immer sehr klein,
das muss beachtet werden, Ungeduld ist schädlich.
Wer muss informiert werden?
Alle in der Umgebung (vor allem in der Schule) sollten unbedingt über die Natur
des Problems informiert werden. In der Schule sollte es möglich sein, die
mündlichen Leistungen durch schriftliche zu ersetzen
(den sog. Nachteilsausgleich einfordern).
Wie ist die Prognose?
Liegen keine weiteren massiven Störungen vor und kann über die Hilfestellung der Umgebung die Schule erfolgreich absolviert werden, so ist die Prognose sogar gut. Da die Kinder viele Probleme selbständig verarbeiten - sie müssen ja oft auf die Hilfe der Umgebung verzichten -, sind sie gedanklich aktiv und entgegen dem äußeren Eindruck der Passivität handlungsfähig. Sie reflektieren, wenn sie älter werden, sehr viel und sind sozial kompetenter als die Erwachsenen in der Umgebung glauben (sie sind auch weniger abhängig vom Urteil der Umgebung als diese annimmt und oft zu rationalem Handeln fähiger als Altersgenossen).
Weitere Literatur auf Nachfrage (per e-Mail).
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