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Dr. Sigrid Graumann-Brunt
18. Das neurophysiologische Ballett, was ist das?
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Das neurophysiologische Ballett, was ist das?
© Dr.Sigrid Graumann-Brunt
Wer tanzt dieses Ballett?
Das tanzen unsere Jüngsten im Mutterleib (=Feten). Dafür ist eine
entspannte“ mütterliche Umgebung nötig, da die Gefahr des
Überhitzens besteht (Mutter ist ruhig=das Kind hampelt,
Mutter hat Stress=das Kind ist ruhig, antagonistisches Muster!). So weit es
ihnen möglich ist, tun sie das auch noch in den ersten 6 Monaten nach
der Geburt – dann stört allerdings die Schwerkraft.
Hat dieses neurophysiologische Ballett eine Choreografie?
Ja, sogar eine recht streng vorgegebene. Es besteht aus einer Abfolge von
reflektorischen Bewegungen, denen eine feste Form zugrunde liegt. Bei
gesunden Kindern sind sie außerordentlich elegant, flüssig und
differenziert. Man weiß jetzt mehr über diese Vorgänge als
früher, aber noch nicht genug.
Wie viel Zeit verbringen die Feten mit diesen Bewegungen?
Feten sind ca. 8 Stunden am Tage wach und schlafen 16 Stunden. In ihrer wachen
Zeit sind sie immens fleißig.
Wie oft führen sie diese Bewegungen aus?
Viele der stereotypen Bewegungen werden fünfzig bis hundert Mal/Stunde
wiederholt. Ein Beispiel wäre die Beugung und Streckung, wie sie beim
tonischen Labyrinthreflex vorwärts/rückwärts auftritt.
Was ist der Zweck dieser Bewegungen?
Sie dienen verschiedenen Zwecken: Eines der Anliegen ist die Einstellung
unserer Muskelsysteme auf die Kräfte der Erdanziehung - gleichbedeutend
mit der Entwicklung des Gleichgewichtsinns (=komplexer, als man denkt);
Muskelanspannung und -entspannung wird differenziert (vermutlich über
das frühe Saugen). Parasympatische und sympathische Zustände des
vegetativen Nervensystems wechseln sich in den Bewegungen ab, besonders
deutlich beim tonischen Labyrinthreflex vorwärts und rückwärts.
Die Abfolge (Input/Reiz:
sensorisch) – (Output: muskulär)
wird in einfachster Form vorbereitet.
Bauen die verschiedenen Bewegungskomplexe aufeinander auf?
Ja, sie verändern sich von zunächst gesamtmuskulären, ungerichteten
zu immer differenzierteren Bewegungsmustern, bei denen spezifische Muskelfelder
aktiv werden, während andere passiv bleiben (Differenzierungsfolge (grob):
Gesamtanspannung/ - entspannung → Vorderseite/Rückseite →
linke Körperseite/rechte Körperseite → Oberkörper/Unterkörper
→ Kreuzmuster).
Andere Reaktionen leisten die Vorarbeit für die spätere
Handhabe von Gegenständen. Für die selbständige
Aufnahme und Verdauung von Nahrung, die Sinnesempfindungen, die Atmung, die
Fortbewegung, für alles wird eine Vorarbeit durch Bewegungen im Dunkeln
geleistet. Die komplexeste Leistung in späterer Lebenszeit beruht auf der
grundlegenden Initiierung, Anbahnung und Erarbeitung von Servosystemen
in unserer frühesten Lebenszeit.
Kann diese Arbeit gestört werden?
Ja, sie ist sehr störanfällig. Jegliches Problem, Stoffwechselprobleme,
Stress der Mutter, Traumen, Asymmetrien, ungenügende Wachstumsvorgänge oder
Zusammenfügungen, Enge im Mutterleib und vieles andere (auch genetische
Besonderheiten) kann den Arbeitsablauf beeinträchtigen und zu einer
Verzögerung in der Reifung führen – ein bei unserer ohnehin sehr
frühen Geburt sehr großer Nachteil für das betroffene Individuum.
Was kann man tun?
Man kann tatsächlich nachsitzen, aber viel Fleiß ist für
das Nacharbeiten der Übungen erforderlich. Auch das Abarbeiten der
Kompensationen, die sich aufgebaut haben, ist nicht einfach.
Siehe auch Heft 9 zu den
frühkindlichen Reflexen
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